Wie geht man physisch und psychisch mit einer Laufpause um, dessen Zeitraum absolut ungewiss ist? Meine Ängste, meine Hoffnungen und mein Weg zurück, das Laufen wieder zuzulassen und lieben zu lernen
Hallo Laufpause – so schnell kann es gehen
Jede:r kennt Laufpausen. Jede:r kennt Verletzungen, nach denen eine Genesung erforderlich ist und jede:r weiß, dass man irgendwann, meistens nach ein paar Wochen, wieder zurück im Running-Game ist. Das ist der Standardprozess, nicht wahr?
Was aber, wenn all dies ungewiss ist? Ärzte davon sprechen, dass du zwischen 2-24 Monaten wieder laufen kannst? Die Zeitspanne ist absurd und ungewiss, alles ist möglich – aber unter’m Strich ist eben auch alles unmöglich. Und genau diese Unsicherheit hat mir das Leben für einige Monate sehr schwer gemacht.
Achillessehne, Sehnenscheide & Co.: Erklärungsversuche meiner Laufverletzung
Im Mai 2022 bin ich aus dem Stand, einfach so, umgeknickt. Die Folge: Bänderdehnung. Diese Verletzung hat mich bereits zwei Monate Laufpause gekostet. Und scheinbar auch die Weiteren, denn Ende August hatte ich Schmerzen.
Die Vermutung liegt nahe, dass ich zu schnell den Laufumfang wieder gesteigert habe. Ohne auf ausreichend Regeneration, Kräftigung und Dehnung zu achten. Ich bin ganz ehrlich: wieso auch? Es lief super, ich hatte keine Probleme beim Laufen, keinen Muskelkater, keine Schmerzen.
Irgendwann zwickte dann die Achillessehne. Und zwar so stark, dass ich sofort reagiert habe. Binnen einer Woche ging gar nichts mehr. Verdammt.
Ich konnte kaum Schuhe tragen, Treppen nicht ohne Abstützen am Geländer bewältigen und sportliche Aktivitäten funktionierten sowieso nicht. Der Schmerz wanderte um den Fuß herum, trat an der Ferse auf, mal innen und mal außen. Noch immer kann ich die Schmerzen nicht wirklich beschreiben. Es war kein stechender Schmerz, kein Druck, kein Brennen, kein Ziehen. Aber so unfassbar unangenehm, dass mir davon übel wurde und ich kurz davor war, einfach umzukippen.
Ich war bei drei Orthopäden, habe eine Stoßwellentherapie gemacht und hatte zwei Monate später noch immer immense Probleme. Mal mehr, mal weniger. Crosstrainer und Radfahren war machbar,, aber das Laufen – keine Chance. Jeder Aufprall, jeder leichte Sprung vom Bordstein, jede Treppenstufe oder ungünstige Bewegung, bei der ich den Fuß nicht automatisch mitnahm, schmerzte. Ich war frustriert, ratlos und wütend. Bis die Osteopathie kam.
Schwierige Zeiten: wenn Laufverletzungen auf die Psyche schlagen
Das gemeine an Laufverletzungen ist, dass man die Beine stillhalten sollte. Zumindest dachte ich das. Alle Verletzungen, die ich bisher hatte, waren nach wenigen Wochen wieder passé – außerdem schränkten sie mich nicht in meinem Alltag ein. Aber die jetzige tat das gewaltig. Wenn man im Winter mit offenen Schuhen rausgehen muss und täglich unangenehme Schmerzen hat, seit mehreren Wochen – das hielt ich kaum aus. Mir ging es zunehmend schlechter. Physisch und psychisch. Ich hatte Angst. Egal was ich tat, egal zu welchem Arzt ich ging – nichts half mir weiter. Und an den Optimismus der Ärzte glaubte ich schon lange nicht mehr.
Disclaimer: ich spreche hier von Ärzten, da es sich tatsächlich nur um maskuline Personen handelt.
Einige von euch werden jetzt wahrscheinlich denken, dass ich mich nicht so anstellen soll. Ja, man könne mich schon verstehen – die Situation ist Mist. Nicht Laufen zu gehen ist Mist. Aber wisst ihr, was wirklich Mist ist? Ungewissheit. Nicht ohne Schmerzen spazieren gehen zu können. Morgens nicht aufstehen zu wollen, weil man weiß, dass die ersten zehn Minuten nach dem Aufstehen einfach unangenehm und anstrengend sind. Wenn ich meinen Fuß aufsetze, fühlt er sich matsch und kaputt an. Und der Frust darüber, dass du bisher 800 Euro in die Gesundheit investiert hast, weil die Krankenkasse keine Stoßwellentherapie oder Osteopathie übernimmt. Das ist alles Mist.
Überlastung beim Laufen: Entzündungen im Fuß und in den Sehnen
Bevor ich euch erzähle, wie die ganze Geschichte weitergeht, möchte ich euch einen Einblick in die Ursachen geben, die wahrscheinlich(!) für meine(!) Probleme verantwortlich sind. Es war per se nicht die Achillessehne. Das erklärt auch, warum die Stoßwellentherapie nicht angeschlagen hat.
Meine Sehnenstränge haben sich verklebt. Und weil Sehnen so dünn und so nah beieinander liegen, übertragen sich die Schmerzen auf alles, was daneben liegt. Das fand ich alles erst dann heraus, als ich meinen Osteopathen kennenlernte. Mithilfe bestimmter Streichtechniken von der Wade ausgehend, aktivierte er den Blutzufluss. Zusätzlich bekam ich homöopathische Mittel gespritzt. Danach wurde alles erstmal viel schlimmer und ich konnte zwei Wochen kaum noch gehen. Zu diesem Zeitpunkt verlor ich ehrlicherweise jegliche Hoffnung. Bis plötzlich eine Besserung auftrat. Mein Fuß wurde wieder geschmeidiger. Und nach vier Wochen Behandlung bekam ich einen Trainingsplan – den ich natürlich absolut nicht ernst genommen habe.
Finde hier: Trainingspläne zum Download und zum Durchziehen!
Mein Wiedereinstieg ins Laufen: zwischen Angst, Kapitulation und Hoffnung
Zugegeben: die erste Herausforderung war nicht der Trainingsplan, sondern die Wahl der Laufschuhe. Noch immer kann ich tatsächlich die Hälfte meiner Laufschuhe nicht anziehen. Je mehr sie gedämpft sind, desto unvorteilhafter sind sie für mich. Das ist absolut absurd, da ich vor allem in solchen Laufschuhen perfekt laufen konnte. Nungut. Zwischen den 15 Paar Laufschuhen finden sich 2-3 Paare, die aktuell funktionieren.
Die ersten zwei Wochen meines Trainingsplans (finde das Wort ist absolut fehl am Platz), sahen wie folgt aus: 15 Minuten Training, 30 Sekunden laufen, 1:30 min gehen. Im Wechsel. Danach Dehnen und Ausstreichen. Wow. Die alte Nele hätte niemals für 15 Minuten ihre Laufschuhe geschnürt. Die neue Nele tat dies allerdings.
Ich dachte bislang, dass meine größte Herausforderung darin lag, überhaupt wieder laufen zu können. Falsch. Meine größte Herausforderung ist, das Laufen wieder zuzulassen. Dem Sport, den ich so sehr liebe, wieder eine Chance zu geben. Ich hatte das Gefühl, ich freundete mich nach 3 Monaten langsam mit der Verletzung und der daraus resultierenden Laufpause an. Aber das war keine sorglose Akzeptanz. Das war Angst. Das war Kapitulation. Zwischen all dem war ein "okay-es" Gefühl, das so gar nicht okay war.
Die ersten Laufversuche – glücklich, kraftlos, unverwundbar
Als ich das Laufen das erste Mal wieder versuchte, war es ein Gefühl aus Erleichterung, Befriedigung und totaler Überforderung. Ich war die letzten Monate beim Gehen im Alltag ständig angespannt, weil ich Angst vor dem Schmerz hatte, der bei jedem Schritt auftreten konnte. Beim Laufen war diese Anspannung jedoch plötzlich weg. Was blieb, war die Sorge, dass es nach dem Laufen wieder anfing so unangenehm weh zu tun. Ich war jedoch bereit, dieses Risiko einzugehen. Mein Fuß fühlte sich schwach an, wackelig und fad – fast so, als würde die Federung eines Fahrzeugs nicht ganz funktionieren. Aber: Es tat nicht weh. Ich lief. So wie damals. Ich fühlte mich noch nie so unverwundbar. “I’m unstoppable” von Sia lief die ganze Zeit in meinen Gedanken ab.
Ich übertrieb. Und zwar in voller Länge. Wer wäre ich auch, wenn ich mich an die 15 Minuten Trainingsumfang gehalten hätte. Die positive Nachricht: Es tat nichts weh. Selbst 24 Stunden später nicht. 3 Tage später wagte ich den nächsten Versuch. Und der ging in die Hose. Mein Fuß schmerzte wieder. Jegliche Hoffnung war innerhalb weniger Sekunden passé. Ich verstand die Welt nicht mehr.
Status Quo nach 5 Monaten Laufpause
Und jetzt? Ich laufe. Zwar langsam, mit Gehpausen und in Summe sehr wenige Kilometer. Aber ich laufe. Bisher bin ich noch keinen Kilometer durchgelaufen. Ich halte mich brav an meinen Trainingsplan und bin voller Hoffnung, dass ich im Sommer 2023 wieder starten kann. Ich habe aber auch Angst, nie wieder beschwerdefrei laufen zu können.
Ich möchte das Laufen wieder lieben lernen. Ich möchte es wieder zulassen können, ohne Sorge um meinen Fuß. Ich möchte gerne wieder 10 Kilometer laufen, am Tag darauf einen lockeren 5er schaffen und Erholungstage sinnvoller nutzen. Vielleicht wird das jedoch auch nicht mehr so sein. Vielleicht machen meine Sehnen und Bänder das nach der Verletzung nicht mehr mit. Doch bevor ich das akzeptiere, werde ich alles tun, damit ich eines Tages wieder so laufen kann, wie ich es möchte: nach Lust und Laune, voller Freude. Und zu 100% nur für mich.
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