Warum wir beim Laufen das „Müssen“ streichen sollten und wieso der Zwang zu Laufen für Läufer zum Problem werden könnte
Die verschiedenen Etappen beim Laufen
Wie oft hast du schon gesagt, dass du jetzt laufen gehen musst? Oder anderen Menschen erzählt: „Ich muss heute noch eine Runde laufen gehen“? Was wie eine simple Floskel klingt, kann jedoch früher oder später zum Problem werden – für deine Psyche und für deinen Körper.
Ich bin der Ansicht, dass es einen gewissen Weg vom ersten Lauf bis zum Laufen als solches gibt, den jeder Läufer, egal ob Hobbyläufer oder Elite, in seinem Leben durchlaufen wird. Im besten Fall durchlaufen wir all diese Etappen, rasten auf einer Etappe ein wenig länger und nehmen Stück für Stück die für uns wichtigen Learnings mit, die uns auf den weiteren Weg begleiten. Allerdings starten wir nicht alle bei der gleichen Etappe, denn jeder Läufer hat andere Beweggründe, warum man mit dem Laufen anfangen möchte: Die Lust nach etwas Neuem, Abnehmen, fitter werden, Laufen als Ausgleichssport, Laufen für die Seele, … es gibt tausend verschiedene Gründe, die das Laufen so vielseitig und einzigartig machen können.
Doch was passiert wenn wir beginnen, die Gründe als eine fixe Bedingung anzusehen, die zur Pflicht und nicht zur Option wird? Dann laufen wir ins Verderben – da bin ich mir sicher.
Wie Laufen zum Zwang werden kann
Auch bei mir hat sich das Laufen über all die Jahre zu etwas ganz anderem entwickelt, als es zu Beginn der Fall war. Es begann mit der Lust nach etwas Neuem, mit dem Gedanken, mich fit zu halten und ja – auch abzunehmen und ein wenig definierter zu werden. An Wettkämpfe habe ich in diesem Moment gar nicht gedacht. Diese ersten Laufgründe änderten sich jedoch schnell, als ich mit meinem Freund zusammen laufen gegangen bin. Das Laufen mit einem Laufpartner hat dazu geführt, dass ich sogar eine große Freude entwickelt habe. Meine Gedanken drehten sich nicht mehr um das „laufen müssen“, sondern darum, dass ich einfach, ohne jeglichen Zielgedanken oder Zweck, mit meinem Freund zusammen laufen gehen wollte. Allerdings änderte sich auch diese Einstellung wieder. Mit dem Umzug in eine neue Stadt lief ich viel alleine, entwickelte eigenen Ehrgeiz und wollte mir plötzlich ein Ziel setzen: die 21,1 Kilometer. Ich habe zwar im Training (ja, ich hatte einen fixen Trainingsplan) nie die Freude verloren, aber vielleicht ein wenig die Leichtigkeit. Nach dem ersten Halbmarathon folgte ein zweiter sowie weitere Wettkampfdistanzen. Meine Devise: Konstant im Training bleiben, damit sich die Leistung nicht verschlechtert.
Und ja: Sicherlich wurde aus dem „ich gehe jetzt laufen“ ein „ich muss jetzt laufen“. Doch diese Einstellung nahm mir ab und zu nicht nur den Spaß und die Motivation, sondern auch die Leistung sowie die körperliche und mentale Gesundheit.
Was unser Kopf denkt, wenn wir vom „Müssen“ sprechen
Das Wort „müssen“ besitzt einen faden, negativen Beigeschmack, den wir selbst vor allem im Leistungszustand nicht bewusst wahrnehmen. Unser Unterbewusstsein verarbeitet dieses Hilfsverb jedoch so stark, ohne dass es uns auffällt. Es intendiert eine Art Zwang, während ein „wollen“ aus freier Entscheidung heraus entsteht. Deshalb achte ich ganz bewusst darauf, stets nur vom „ich möchte laufen gehen“ oder „ich will laufen gehen“ zu sprechen. Auch dann, wenn ich für einen Wettkampf trainiere. Und soll ich euch mal etwas verraten? Es bringt tatsächlich die Leichtigkeit zurück, die jeder Lauf, egal wie anstrengend, besitzen sollte.
Tipps, wie du das „Müssen“ beim Laufen durch ein „wollen“ ersetzen kannst
Es wäre ja zu einfach, wenn ein einfaches Austauschen des Wortes genügen würde, um die innere Einstellung beim Laufen zu ändern. Ganz so leicht funktioniert es jedoch nicht. Wichtig ist, dass es sich um einen Prozess handelt, sodass sich euer Bewusstsein auf die neue Sichtweise einstellen kann. Deshalb sind folgende Schritte sehr wichtig:
Setze dir nicht bei jedem Lauf Ziele
Wir sprechen meistens von einem „ich muss jetzt aber laufen gehen“, wenn dieser Lauf eine ganz bestimmte Intention verfolgen soll: Steht er im Trainingsplan? Gab es eine längere Laufpause? Oder ist es ein Lauf des schlechten Gewissens wegen? Genau in solchen Momenten solltest du das Ziel, welches du mit dem Lauf verfolgst einmal komplett vergessen. Lauf einfach, weil du willst – egal wie weit, egal wie schnell. Vermeide zudem Kontrollblicke auf deine Laufuhr, dies nimmt dir zusätzlichen Druck.
Lass den nächsten Lauf bewusst ausfallen
Okay, dieser Punkt klingt hart. Ich weiß wie schwer und falsch es sich anfühlen kann, einen Lauf sausen zu lassen. Doch genau wenn du an diesem Punkt stehst, dass es sich falsch anfühlt, solltest du es durchziehen. Lauf doch am nächsten Tag. Diese Einstellung raubt dir weder deine Motivation, noch deine Leistung.
Hinterfrage dein Laufverhalten
Dieser Punkt ist sehr wichtig, das „Müssen“ endlich in ein „Wollen“ umzuwandeln. Wie fühlt es sich für dich an, wenn du denkst, dass du laufen gehen musst? Wirst du unruhig? Bist du angespannt? Bist du voller Vorfreude? Hast du das Gefühl, dich rechtfertigen zu müssen? Es können negative sowie positive Gedanken sein, die dir durch den Kopf gehen. relevant hierbei ist, welche Wertung du den einzelnen
Gedanken zuschreibst.
Laufen ist ein Privileg und sollte nie aus Zwang entstehen
Erfreue dich daran, dass du laufen kannst und darfst – dies ist nämlich überhaupt nicht selbstverständlich, wie ich selbst feststellen musste. Es wäre viel zu schade, dieses Privileg ständig mit einem „müssen“ gleichzusetzen und somit dem Ganzen den Zauber zu entziehen. Laufen verlangt dem Körper und dem Geist einiges ab, da sollten wir diese Anstrengung nicht noch durch einen gewissen Zwang verstärken.
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