Jan Fitschen ist einer der bekanntesten Läufer der Erde. Wir haben über viele Laufthemen gesprochen, die Profi- und Freizeitläufer:innen täglich beschäftigen. Ein Talk über die schönste Sportart der Welt
Endlich! Es ist der Tag der Tage und ich stehe Jan Fitschen persönlich gegenüber. Zumindest fast – wir grinsen uns gegenseitig über die Webcam an. Ich bin aufgeregt und freue mich zugleich auf unser Gespräch. Wir haben eine Stunde Zeit, um über all die Dinge zu sprechen, die uns Läufer:innen zum laufen bewegen – oder eben auch nicht. In diesem Sinne: Genießt das Interview, viel Spaß beim Lesen und vergesst nicht: Laufen ist einfach, um es in Jan’s Worten zu sagen.
Jan Fitschen im Interview bei Runnerfeelings
Wer kennt ihn nicht? Jan Fitschen ist einer der bekanntesten Läufer unserer Erde – zumindest ist das meine persönliche Meinung. 2006 holte er sich bei den Europa-Meisterschaften auf 10.000 Meter die Goldmedaille – wenn ich mir die Videoaufnahmen aus diesem Jahr anschaue bekomme ich noch immer Gänsehaut. Im Jahr 2015 hat er seine Lauf-Karriere offiziell beendet. Doch zur Ruhe setzt er sich noch lange nicht! Er hält spannende Vorträge, ist bei vielen Sportevents vertreten, schrieb das Buch „Wunderläuferland Kenia“ und gründete sein eigenes Projekt „Laufen ist einfach“. Ich selbst habe ihn 2019 auf einem Event getroffen und durfte neben ihm mein bestes auf dem Laufband zur Schau stellen – mein Puls war noch nie so hoch wie an diesem Tag.
Inwiefern verändert sich die Einstellung zum Laufen eines Profiläufers wie bei Jan über all die Jahre? Hat er auch mal keine Lust auf das Laufen? Und wie schafft man es, Nicht-Läufer:innen von der schönsten Sportart der Welt zu überzeugen? Fragen über Fragen, die mir auf der Zunge brennen und die mir Jan Fitschen im folgenden Interview voller Freude und Begeisterung beantwortet hat.
Über fehlende Laufmotivation und die Langeweile beim Laufen
Nele: Jan, du warst die letzten Tage mit dem Laufcamp unterwegs. Steht dann wirklich jeden Tag ein Lauf im Programm?
Jan Fitschen: Laufen steht im Laufcamp immer auf dem Plan. Aber wir versuchen auch, die Leute ein bisschen runterzuholen. Es geht nicht immer nur ums „Kilometer fressen“, sondern auch um regenerative Maßnahmen und persönliche Beratungen: Was ist eigentlich das persönliche Ziel jeder Teilnehmerin/ jedes Teilnehmers? Das versucht man im persönlichen Gespräch herauszufinden, sodass man daran arbeiten kann.
… aber ihr steht nicht jeden Tag vor Sonnenaufgang auf und lauft 20 Kilometer, wie du es in deinem Buch „Wunderläuferland Kenia“ erzählst, oder?
Jan Fitschen: (lacht.) Nein, so ist es nicht. Aber: Ein Erlebnislauf ist immer mit dabei, wo wir vorher gar nicht erzählen, was passiert.
An dieser Stelle verrate ich euch natürlich auch nicht mehr – das könnt ihr persönlich erleben ;)
Wie reagierst du, wenn Teilnehmer:innen mal keine Lust auf das Laufen haben? Gibt es das überhaupt?
Jan Fitschen: Im Laufcamp ist alles theoretisch sehr einfach und die Frage nach der Motivation ist so gut wie gar nicht vorhanden. Die Leute freuen sich drauf, die Umgebung ist toll und alles ist top. Das Schöne am Laufcamp ist, dass man immer zusammen unterwegs ist und sich unterhält. Da ist das Motivationslevel bei den miesten sehr hoch.
Bei einem Motivationstief gibt es nur zwei Optionen. Entweder einfach Loslaufen oder das Training ausfallen lassen.
Wie motivierst du andere, wenn du selbst nicht motiviert bist? Gibt es das bei dir überhaupt?
Jan Fitschen: Ja klar gibt es das und das ist auch ganz normal. Als Hochleistungssportler hast du auch deine Motivationstiefs. Allerdings hast du auch den Vorteil der Routine. Die Frage, ob du laufen gehst oder nicht, die stellt sich gar nicht. Du hast am Tag dein vorgeschriebenes Trainingsziel und das absolvierst du.
Bei einem Motivationstief gibt es nur zwei Optionen. Entweder einfach Loslaufen oder das Training ausfallen lassen. Dann stelle ich mir die Frage: Nach welcher Option geht es mir besser? Die Antwort: Natürlich nach der ersten Option! Und nach 10 Minuten ist es doch immer so, dass du froh bist, dass du losgelaufen bist. Wichtig ist, dass man seine Durchhänger akzeptiert und weiß, wie man damit umzugehen hat.
Meine Laufroutine hat sich über all die Jahre verändert, auch mein Bewusstsein zum Laufen ist ein anderes geworden. Wie und wann hat sich deine Einstellung zum Laufen verändert?
Jan Fitschen: Als Leistungssportler ordnest du alles dem Sport unter. Bei mir war es mehr oder weniger eine bewusste Entscheidung aufzuhören, denn der Körper sagt irgendwann „nein“. Man wird älter.
Mit Ende 30 tut dir einfach alles weh, bei mir war es dann zunächst der Fuß. Man muss das akzeptieren.
Nach zwei Jahren ohne Lauftraining, wie es dann bei mir der Fall war, kommst du in die Spitze der Elite nicht mehr rein. Und das ist okay.
Das Schöne ist, das dass Laufen nach wie vor ein ganz großer Teil meines Lebens und meines Berufes ist. Das ist eine klasse Sache und bringt Motivation mit sich.
Mittlerweile bin ich Hobbyläufer und alles ist nicht mehr so zielgerichtet. Das „ich muss laufen“ gibt es nicht mehr. Jetzt ist es eher ein „Ich will fit sein und Spaß haben“. Beides habe ich, wenn ich 2-3 Mal in der Woche laufen gehe.
Was ist deine Antwort auf die Reaktion von noch Nicht-Läufer:innen die sagen „Ich will ja laufen, aber es ist so langweilig“ ?
Jan Fitschen: Tatsächlich höre ich das eher selten. Dass Laufen langweilig ist, kann ich sogar verstehen. Allerdings ist meiner Meinung nach genau das Gegenteil der Fall. Wir sind es einfach nicht mehr gewohnt, einfach mal abzuschalten. Für mich persönlich ist gerade wenig Ablenkung das, was das Laufen schön macht. Die ersten zehn Minuten denkst du vielleicht noch über vieles nach und dann … kommt nichts mehr. Das ist die typische Me-Time, von der man immer spricht.
Als Einsteiger hingegen ist es anstrengend, da man an vieles gleichzeitig denkt: Laufe ich zu langsam? Wie nehme ich meine Arme mit? Wie atme ich?. Diese Gedanken sind jedoch ganz normal. Auch Abschalten braucht eine Routine und die setzt meistens dann ein, wenn man eine halbe, Dreiviertelstunde am Stück laufen kann.
… du meintest, du hörst das Statement der Langeweile eher selten. Was hörst du denn stattdessen oft von Laufeinsteiger:innen?
Jan Fitschen: Ich höre oftmals, dass laufen so super anstrengend ist. Und da gibt es einen ganz simplen Tipp: Lauf LANGSAM. Langsam. Und nochmal langsam. Bei 99% der Laufeinsteiger:innen ist nicht das Problem, dass sie kein Talent haben oder nicht laufen können. Das Problem ist, dass sie viel zu schnell loslaufen. Zwing dich, langsam zu laufen. Dann schaffst du 20 Minuten am Stück und fühlst dich danach großartig.
Warum glaubst du, starten viele Läufer:innen immer viel zu schnell rein?
Jan Fitschen: Als Laufeinsteiger:in orientierst du dich automatisch an Leuten, die schon länger laufen. Generell gibt es mehr trainierte Läufer:innen als Laufeinsteiger:innen. Dann passiert es ganz schnell, dass du deren Leistung als Benchmark ansiehst. Dein Ziel sollte jedoch sein: Geschwindigkeit rausnehmen und locker bleiben.
Übrigens: Der große Knackpunkt sind die 10 Kilometer. Das typische Einsteigerding sind 5 Kilometer – die läufst du einfach, schaffst sie womöglich auch öfters und hörst dann wieder auf.
Bei 10 Kilometern muss man allerdings konsequent sein. Man schafft eine ganz andere Grundlage, man bereitet sich auf eine Routine vor und hat bestimmte Hilfsmittel an der Hand. Dann macht Laufen Spaß!
Viele Laufmomente gewinnen eine Bedeutung – weil man viel gewonnen hat, viel trainiert hat. Diese Momente verbindet man mit mit dem Schuh, den man anhatte.
Fun Fact: Jan Fitschen besitzt übrigens 20-30 Paar Laufschuhe – er liebt es, neue Technologien auszuprobieren und hat für jede Gelegenheit das passende Paar. Ein wahrer Laufschuh-Fanatiker.
Über Höhenflüge und Niederlagen beim Laufen
Emotionale Momente gibt es viele. Was war deine bisher größte Niederlage im Leben? Und wie bist du damit umgegangen?
Jan Fitschen: Wenn du Leistungssport machst, gibt es einige Niederlagen. Der härteste Moment war im Jahr 2002, bei der Europameisterschaft in München. Ich hatte mich damals qualifiziert und für mich war es ein ganz wichtiger Wettkampf. Ich war so gut drauf und habe mich gefreut. Damals gab es nur alle vier Jahre die Chance zu zeigen, was du drauf hast. Und was ist passiert? Die Nudeln am Vorabend waren eine ganz schlechte Idee. Am Morgen war ich war kreidebleich, musste zum Verbandsarzt und er sagte, dass ich mir einen Magen-Darm-Infekt eingefangen habe und auf keinen Fall Laufen kann. Das tat weh. Ich wusste, ich hätte sicher in der Top 10 laufen können und das in der Sportart, die mir alles bedeutet. Ich durfte natürlich nicht an den Start gehen. Das war schon ziemlich heftig. Wie ich damit umgegangen bin?
Letztenendes gibt es Dinge, die einfach super ätzend sind. Aber in den meisten Situationen kannst du immer etwas Positives mitnehmen, wenn du nur etwas länger danach suchst.
Im Nachhinein war meine Nicht-Teilnahme gut, da ich ja 2006 Europameister geworden bin. Manchmal weiß man nicht, wofür „gefühlte“ Katastrophen gut sind. Dass ich damals nicht gestartet bin hat unter anderem dazu geführt, dass ich vier Jahre später gewonnen habe – mich hatte auch niemand auf dem Schirm; woher auch? Ich konnte ja 2004 nicht starten.
Was würdest du deinem Vergangenheits-Ich in Sachen Laufen gerne sagen wollen?
Jan Fitschen: Vielleicht hätte ich manchmal Dinge mehr genießen sollen. Ich war oftmals sehr stur und verbissen, was vielleicht auch gut ist, bzw. auch gut war. Aber unterm Strich würde ich das Allermeiste wieder genau so machen.
Learnings sind beim Laufen eines der wichtigsten Dinge. Dein Projekt „Laufen ist einfach“ entfacht die Leidenschaft fürs Laufen bei vielen Menschen – was war das für dich das größte Learning, das du aus diesem Projekt bisher mitgenommen hast? Jan Fitschen: Eigentlich waren mir die meisten Dinge schon vorher bewusst. Die Unterschiede sind ja tatsächlich gar nicht so groß zwischen Leistungs- und Freizeitläufer. Das Witzige ist allerdings, dass viele Freizeitläufer viel strenger mit sich sind als Profis. Das betrifft das Training und auch die Ernährung. Da war ich überrascht.
Eine Sache, die jedoch tatsächlich ganz anders ist, ist die Wahrnehmung als Trainer. Du bekommst die Dankbarkeit zurückgespielt. Gleiches gilt bei meinem Podcast „Laufen ist einfach“ und auch bei meinem Einsteigerprojekt 10.000 x 10.000. Das ist ein schönes Learning.
Das "Entweder-Oder" mit Jan Fitschen
Lieber Jan, entscheide schnell ...
Kaffee oder Tee? – Tee.
Langsame Dauerläufe oder Temporun? – Temporun
10 Kilometer oder Halbmarathon? – Halbmarathon
Earlybird oder Nachteule? – Dazwischen (lacht). Nachteule
Alleine laufen oder in der Gruppe – alleine
Hill Sprints oder Intervalle? – Intervalle
Kenia oder Deutschland? – Kenia
Danke lieber Jan für den unfassbar tollen Austausch! Es war mir ein großes Vergnügen!
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