Mentale Gesundheit und der Laufsport gehen Hand in Hand – wie eng dieses Verhältnis tatsächlich sein kann und wieso man lernen muss, auch mal loszulassen. Bekenntnisse einer Läuferin
Triggerwarnung
Dieser Artikel beinhaltet tatsächlich erstmals eine TRIGGERWARNUNG. In diesem Blogbeitrag geht es um die Schilderung von Depressionen, wie sie sich anfühlen, was sie bedeuten und wie sie sich auf das (Lauf)-Leben schonungslos auswirken können.
Solltest du dich aktuell emotional labil fühlen oder ähnliche Erfahrungen mit diesem Thema haben, dann lese den Beitrag vielleicht nicht alleine und/oder lese nicht weiter. Hilfe oder Unterstützung findest du unter anderem bei der Hotline der Deutschen Depressionshilfe unter 0800 / 33 44 533 oder bei regionalen sozialpsychiatrischen Diensten.
Zwischen zu vielen runnerfeelings und zu wenig Selbstwahrnehmung
“Mir tut alles weh. Mein Körper schmerzt, er brennt innerlich. Jeder Schritt fühlt sich schwer an, ich merke meine Schienbeine, meinen Rücken, meine Achillessehne, mein Knie … Und neben all dem, was ich so stark fühle, spüre ich mich selbst schon länger nicht mehr.”
“Wann hört dieser Mist endlich wieder auf?”. Diese Frage stelle ich mir, um genau zu sein, seit den letzten sieben Monaten. Anfangs schoss sie mir eher wöchentlich in den Kopf, mittlerweile sucht sie mich täglich heim. Eine Antwort auf diese Frage habe ich nicht. Womöglich hat sie niemand.
Liebe Nele, warum erzählst du uns von deiner mentalen Gesundheit?
Lange habe ich überlegt, ob ich über dieses Thema schreiben möchte. Nicht, weil ich Angst vor Gegenreaktionen habe oder es mir unangenehm ist. Vielmehr beeinflusst dieses Thema nicht nur mich, sondern auch die Personen um mich herum, die diesen Beitrag lesen werden. Auf der anderen Seite wusste ich lange nicht, ob mein Laufblog, ob RUNNERFEELINGS dafür eine richtige Plattform sein kann. Da mentale Herausforderungen jedoch zum Laufen dazugehören, habe ich mich letzten Endes für den Realtalk entschieden. Zudem möchte ich nichts verfälschen. Als ich RUNNERFEELINGS 2018 ins Leben gerufen habe, hatte ich den Sinn und Zweck, die Vision ganz klar vor meinen Augen: Das Laufen mit all seinen Höhen und Tiefen nahbarer und ehrlicher zu machen. Im Fokus stehen meine Erfahrungen, meine Laufgedanken, meine Lauferlebnisse. Und dazu gehört nunmal auch mein gesundheitlicher Zustand, sowohl physisch als auch psychisch.
Ich war es mir selbst leid, Blogbeiträge aussetzen zu “müssen” oder gefühlt weniger Content zu kreieren, weil von einer auf die andere Sekunde sich Lebensumstände anders gestaltet haben. Oder um es metaphorischer auszudrücken: Weil sich die nächste Fahrt ins Tal nicht aufhalten ließ.
In diesen Momenten frage ich mich immer wieder, ob ich auch in solchen Phasen über das Laufen schreiben darf oder soll. Und mittlerweile bin ich mir auch hier sicher: Ja! Das darf und sollte ich! Nur weil ich oft nicht so kann, wie ich gerne wollen würde, heißt das nämlich noch nicht, dass mir die Expertise oder Authentizität abgeschrieben wird! Diese Erkenntnis kam jedoch nicht über Nacht.
Und mit diesem Blogartikel bekommt RUNNERFEELINGS nicht nur einen weiteren Identifikationsfaktor und eine weitere Kategorie, sondern auch die Chance, mehr Awareness für das Thema “(Erschöpfungs)-Depression” zu kreieren. Schön, dass du bis hierhin gelesen hast.
Moment – was ist eine Erschöpfungsdepression?
Ganz wichtig: ich bin natürlich keine Psychologin und kann an dieser Stelle nur von meinen eigenen Erfahrungen berichten! Ich denke, dass wir alle schon mal etwas über Depressionen gelesen haben. Eine Erschöpfungsdepression ist eine spezielle Form, bei der meist Antriebslosigkeit und fehlende Freude im Leben die Auslöser sind. Manch eine:r setzt es mit Burn-Out gleich, es ist jedoch viel mehr als das. Stell dir vor, du bist so müde, dass du dich hinlegen magst aber nicht zur Ruhe kommen kannst – weil sich deine Nerven einfach seit Monaten im Ausnahmezustand befinden. Viele Dinge gehen schief, du gibst dir die Schuld dafür und dein Perfektionismus in vielen Lebenslagen macht all das nicht besser. Wut, Trauer und auch Lustlosigkeit begegnen dir immer häufiger im Alltag. Du machst weiter und weiter – bis zum Zusammenbruch. Du kannst einfach nicht mehr – aus die Maus. Was folgen sind Selbstvorwürfe, Schlafstörungen, körperliche Beschwerden und viele Tränen. Zumindest bei mir.
Wie es mir wirklich geht und was das Laufen damit zutun hat
Seit Februar 2022 ging mein Leben innerhalb weniger Wochen den Bach runter – zumindest in meiner Wahrnehmung:
Erst eine Muskelzerrung, Laufpause, Corona-Infektion, krankgeschrieben, Laufpause, Trennung und Trennungsschmerzen, Challenges im Job, fiese Bänderzerrung, Laufpause von zwei Monaten, erneut krankgeschrieben. Dann folgten eine Seitenstrangangina, erneute Laufpause, Einnahme von Antibiotikum, Laufpause.
Dann folgte endgültig der Nervenzusammenbruch, die erneute Diagnose einer Erschöpfungsdepression, Start einer Therapie, krankgeschrieben, Verletzung die nächste, Muskelfaser-Anrisse, Laufpause, Achillessehnenprobleme, Laufpause, Überbleibsel der Muskelfaseranrisse im Knie...
... all das ist in vier Monaten passiert. Ein bisschen viel, nicht wahr? Für mich war es das. Ausnahmslos.
Die einzige Konstante, die mir in all diesen Phasen geblieben ist und auch immer wieder genommen wurde, ist das Laufen. Laufen ist mein Ventil, meine beste Ablenkung, meine eigene Challenge – und es tut so gut! Wenn euch der Anker genommen wird, der euch Halt geben soll; und zwar immer und immer wieder – dann sieht es irgendwann sehr unschön aus.
Mentale Gesundheit und physische Gesundheit gehen Hand in Hand
Wenn es mir körperlich gut geht, dann funktioniert das Laufen. Wenn es mir psychisch nur “okay” geht, funktioniert das Laufen. Doch Obacht: Funktioniert das Laufen nicht, geht es mir psychisch schlecht. Vice versa. Ich denke ihr versteht, worauf ich mit dieser Aussage hinweisen möchte. In den letzten Monaten habe ich immer wieder versucht aufzustehen, erneut anzufangen und nicht aufzugeben. Aus diversen Gründen (und einige habt ihr teilweise über Social Media mitbekommen) war ich gezwungen, immer wieder das Laufen pausieren zu müssen. Nicht nur das Laufen, sondern Sport im Allgemeinen wurde zunehmend schwieriger. Und damit auch alles andere.
Ich mache meine mentale Gesundheit von meiner physischen Gesundheit abhängig und umgekehrt. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist: Irgendetwas gibt es noch dazwischen – und aktuell suche ich dieses etwas vergeblich. Gottseidank muss ich mich nicht alleine auf die Suche begeben und bin in professionellen Händen.
Natürlich ist an dieser Stelle das fehlende Laufen nicht für meinen mentalen Breakdown verantwortlich. Es sind die oben genannten Dinge, die mir irgendwann den Boden unter den Füßen weggerissen haben. Es war alles zu viel, zu schnell. Und ich habe versucht weiterzumachen. Irgendwann fühlte ich mich erschöpft. Und ganz schnell befindet man sich in einem Teufelskreis, aus dem man schwierig wieder herauskommt.
Nun sitze ich hier, habe einen meiner schlechten Tage, stelle alles in Frage und weiß nicht mal mehr, wann ich endlich mal wieder bei einem Wettkampf starten kann.. Mir tut alles weh. Ich bin müde. Und trotzdem kann ich seit Monaten nicht schlafen.
Depression und Laufen – Fluch und Segen zugleich
Ich sag mal so: Sport, oder eben in diesem Fall das Laufen, kann(!) bei depressiven Phasen helfen. Der Grat zwischen zu wenig Motivation und Übermotivation ist jedoch sehr schmal. Schmal ist dieser Grat vor allem dann, wenn zunehmend physische Probleme auftreten, die Beine schmerzen und jedes Körperteil anfängt zu zwicken. Ich bin der festen Überzeugung, dass uns der Körper Signale gibt, wenn ihm etwas zu viel ist. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass mein dämliches Umknicken und meine daraus folgende Bänderzerrung ein erstes Signal war, dass ich endlich zehn Gänge zurückschalten soll. Ich habe das sogar getan und mir eine Auszeit genommen. Leider ist das Kind zu diesem Zeitpunkt wohl schon in den Brunnen gefallen. Normalerweise nehme ich all diese Signale sehr ernst. Aber wenn sich die Dinge summieren, über Monate hinweg – dann möchtest du einfach nur das machen, was du so sehr liebst: laufen. Weitermachen. Die Alarmsignale des eigenen Körpers werden lauter, doch kann und will ich sie nicht mehr hören.
Runnerfeelings – eine Achterbahnfahrt ins Tal (und vielleicht wieder zurück)
Am Ende noch eine ganz wichtige Sache: Niemand, auch ich nicht, sucht sich diese Situation aus.
Nun bleibt noch die Frage: “Was jetzt?”. Ganz ehrlich, noch weiß ich es nicht. Dieser Blogbeitrag ist keine Rechtfertigung. Vielleicht habe ich diesen Beitrag für mich gebraucht. Mir meine Bedenken nicht nur von der Seele zu reden, sondern auch zu schreiben. Vielleicht wollte ich mich aber doch auf eine Art und Weise verteidigen, RUNNERFEELINGS verteidigen und mich frei von all dem Druck machen. Vielleicht.
Wie dem auch sei: Ich blicke nach vorne. Sowieso. Ich bin jedoch nicht mehr die Läuferin, die personal bests hinterherjagt und alles federleicht nehmen kann. RUNNERFEELINGS steht, wie der Name schon sagt, für JEDES Laufgefühl. Und bei mir sind es aktuell Gefühle von Ungewissheit, Verzweiflung, Traurigkeit, aber auch ein Funken Hoffnung. Das Laufen kann all das kompensieren. Oder auch nicht. Wir werden sehen, wohin die Reise geht.
We’ve all been there. Maybe.
Eure Nele.
Disclaimer:
Ich habe Gottseidank den vollen Support meines Arbeitgebers und den meiner Familie & Freunde, sodass ich diese Gedanken ohne Sorge teilen kann. Ich weiß, dass das leider noch immer nicht selbstverständlich ist, über mentale Krankheiten zu sprechen und offene Worte oftmals mit vielen Sorgen einhergehen. Danke an alle, die mich den nicht ganz so einfachen Zeiten unterstützen.
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