Wie erleben Gründer:innen und Teilnehmende die Veränderungen in Lauf-Communities, die einst für Unterstützung, Motivation und Gemeinschaft standen? Kann man heute noch eine Gruppe finden, die wirklich zu einem passt, oder wird der Fokus auf Leistung und Wettbewerb zum Hindernis? Im Gespräch mit Läufer:innen und Gründer:innen von Laufgruppen.
Rückblick – Gibt es wirklich Gatekeeping und Elitismus in Laufgruppen?
Im ersten Artikel "Die Veränderung von Lauf-Communities: Wie Elitismus und "Gatekeeping" die Freude am Laufen verdrängen" habe ich darüber geschrieben, wie sich Lauf-Communities verändert haben – von Orten der Gemeinschaft hin zu Räumen, die oft von Leistungsdruck, Elitismus und Gatekeeping geprägt sind.
Jetzt wollte ich wissen: Wie erleben andere das? Sehe ich die Dinge viel zu schwarz/weiß oder ist an meiner subjektiven Wahrnehmung doch auch Wahrheit vorhanden?
Ich habe mit Gründer:innen und Teilnehmenden von Laufgruppen gesprochen, um ihre Sicht auf diese Themen zu erfahren. Wie gehen sie mit diesen Entwicklungen um, und was können wir tun, um die Freude am Laufen wieder in den Vordergrund zu rücken?
Die Antworten haben mich nachdenklich und bestätigt zurückgelassen – doch auch ein wenig hoffnungsvoll.
Gesprochen habe ich mit vier Personen, die ich persönlich oder von Instagram kenne – an dieser Stelle schon jetzt ein riesiges Dankeschön! Sie sind oder waren selbst Teilnehmende von Laufgruppen, haben selbst eine gegründet oder leiten eine running community.
Vorstellung der Läufer:innen zum Thema "Gatekeeping in Lauf-Communities"
Chris Claßen / @running_c_h_r_i_s
War Laufcoach von "Zappes läuft" in Köln, aktuell Leiter des Sportscheck Community Run. Fokus auf ein inklusives Lauferlebnis für alle Leistungsniveaus.
Tanja "Tänne" Witt / @teewitchen_runs
Ehemaliges Mitglied einer Laufgruppe, die aufgrund von Gruppendynamiken ausgetreten ist.
Romy Schwaiger / @running_romy
Diplom-Sportwissenschaftlerin, Lauftrainerin und Gründerin des Hofstatt Runs in München mit Fokus auf inklusives und gemeinschaftliches Laufen.
Annette Vogt / @fight_your_schweinehund
Gründerin von "die_schweinehunde", einer Community, die auf Spaß und Motivation ohne Leistungsdruck setzt.
Gatekeeping in Lauf-Communities – ist an der Wahrnehmung etwas Wahres dran?
Meine Antwort, bzw. meine Sichtweise zu diesem Thema kennt ihr bereits. Laufgruppen agieren sehr stark leistungsorientiert. Die anfängliche Passion wird zu einer Mission, die innerhalb von Laufgruppen selbst zu einer Messlatte aller Leistungen wird, die man stets übertreffen muss. Höher, schneller, weiter – mindestens gleich gut muss man sein.
Doch wie sehen das Tanja, Annette, Romy und Chris?
Thema: Herausforderungen und Leistungsniveaus in Laufgruppen
Nele / runnerfeelings: Welche Rolle spielt Elitismus in Laufgruppen und wie äußert sich das?
Romy Schwaiger: Ich finde, dass sich vor allem in den letzten ein bis zwei Jahren ein Trend entwickelt hat, der in Richtung des olympischen Mottos 'Höher, schneller, weiter' strebt. Das bedeutet, dass man als Läufer/in in einer Laufgruppe nur dann akzeptiert wird, wenn man möglichst schnell laufen kann. Und ich spreche hier nicht von einer Pace von 5:00 Minuten/Kilometer, sondern eher von 4:00 Minuten/Kilometer oder darunter.
Tanja Witt: Der Leiter hat sich viel mehr um die Schnellen gekümmert. Sei es beim Training an sich oder auf Social Media. Wir sind uns alle auf Strava gefolgt, aber er hat nur bei den Flotten kommentiert und Kudos verteilt. Die Teammitglieder untereinander waren da tatsächlich anders – da wurde jeder kleine Erfolg gefeiert.
Das Gefühl, dass eine schnelle Pace wichtig ist, habe ich definitiv. Oft liegt es daran, dass die Schnelleren lauter sind und dadurch stärker wahrgenommen werden. Annette Vogt
Nele / runnerfeelings: Welche Maßnahmen unternehmt ihr, um sicherzustellen, dass sich alle, unabhängig von ihrem Leistungsniveau, in eurer Laufgruppe willkommen fühlen?
Chris Claßen: Unser Ziel ist es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der jeder unabhängig vom Leistungsstand seinen Platz findet und sich wohlfühlt. Dabei legen wir besonderen Wert darauf, dass sowohl ambitionierte Läufer als auch langsamere Teilnehmer Freude am Training haben.
Ein entscheidender Punkt ist die Festlegung von Mindestanforderungen, um Überforderung oder ein schlechtes Gefühl bei den Teilnehmern zu vermeiden. In der Regel umfasst eine Laufeinheit mindestens 30 bis 45 Minuten reine Laufzeit, abzüglich Warm-up und Cool-down. Wer bei uns mitläuft, sollte sich also mindestens 30 bis 45 Minuten – auch in einem langsamen Tempo – durchgehend bewegen können. Diese Information kommunizieren wir im Voraus, damit alle wissen, was sie erwartet.
Annette Vogt: Unsere Community ist bewusst darauf ausgelegt, dass sich jeder willkommen fühlt – egal, ob Anfängerin oder erfahrener Läuferin. Wir setzen auf einfache und spaßige Challenges, bei denen der Fokus auf der Freude an der Bewegung liegt, und nicht auf Geschwindigkeit oder Leistung. Außerdem achten wir darauf, in unseren Kommunikationskanälen wertschätzend und motivierend zu sein, damit niemand das Gefühl hat, nicht 'gut genug' zu sein.
Soziale Medien & Co. im Fokus des Elitismus' in Laufgruppen
Nele / runnerfeelings: Inwiefern beeinflussen die sozialen Medien dein Gefühl von Zugehörigkeit oder Leistungsdruck?
Annette Vogt: Soziale Medien sind ein zweischneidiges Schwert. Einerseits bieten sie die Chance, Gleichgesinnte zu finden und sich inspirieren zu lassen. Andererseits entsteht oft ein verzerrtes Bild, weil viele nur ihre Bestzeiten oder Erfolge teilen. Ich versuche bewusst, dem gegenzusteuern, indem ich auch realistische Einblicke gebe und zeige, dass schlechte Tage oder langsame Läufe genauso dazugehören.
Nele / runnerfeelings: Glaubt ihr, dass eure Kommunikation, zum Beispiel auf sozialen Medien, unbewusst dazu beitragen könnte, bestimmte Menschen von der Teilnahme abzuhalten?
Chris Claßen: Nein im Gegenteil. Wir glauben mit dem Konzept und den dazugehörigen Postings auf den sozialen Medien eher die Ängste bei den Newbies zu nehmen.
Innerhalb des Laufsports hat sich mittlerweile auch die Währung etabliert, wie viele Halbmarathons und insbesondere Marathons man bereits absolviert hat. Dadurch entsteht ein gewisser Druck auf Läufer:innen. Romy Schwaiger
Thema Vorbildfunktion als Gründer:in einer Laufgruppe
Nele / runnerfeelings: Fühlst du dich als Gründer:in oder Teilnehmende von Laufgruppen unter Druck gesetzt, bestimmte Leistungen vorzuweisen, um akzeptiert zu werden?
Romy Schwaiger: Es ist natürlich ein gewisser Druck vorhanden, Leistungen zu erbringen, um von anderen Läufer:innen "akzeptiert" zu werden. Ich muss aber dazu sagen, dass von einer/ einem Lauftrainer:in natürlich gewissermaßen auch erwartet wird, dass gewisse Erfahrungen mitgebracht werden, um eben auch eine Laufgruppe adäquat leiten zu können. Es hilft schon enorm, hier Tipps mit auf den Weg zu geben, wenn man selbst bereit verschiedene Rennen gelaufen ist. Da ich bereits sieben Marathons gelaufen bin, habe ich hier mittlerweile nicht mehr den großen Druck. Aber für neue Teilnehmende einer Laufgruppe bzw. Laufanfänger:innen kann hier vermutlich Druck aufgebaut wurden, um eben dazu zu gehören.
Nele / runnerfeelings: Du bist selbst (in meinen Augen) ein sehr ambitionierter Läufer – mehrere Marathons, Trailruns und größere Lauf-Events mit über 100km-Distanzen. Glaubst du, dass deine Lauferfahrung andere in der Laufgruppe einschüchtert?
Chris Claßen: Alles hat immer zwei Seiten. Natürlich können Leistungen einschüchtern. Ich habe aber eher die Erfahrungen gemacht, dass sich viele in meiner Laufcommunity von meinen Laufevents motivieren lassen und selbst irgendwann einmal einen Marathon oder Ähnliches laufen wollen. Weiterhin muss jedem bewusst sein, dass der Weg zum Marathon oder Ultramarathon ein Prozess ist. Ich selber laufe seit 2016. Anfänglich war ein 10km oder ein Halbmarathon auch für mich eine sportliche Herausforderung.
Verbesserungsvorschläge für eine inklusivere Laufkultur
Nele / runnerfeelings: Wie können Laufgruppen in Zukunft inklusiver werden?
Chris Claßen: Wichtig ist, sich vor oder nach dem Lauf ein bisschen Zeit zu nehmen, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Dadurch ergibt sich auch automatisch ein ganz anderer und verbindlicherer Kontakt zu den Läufer:innen.
Romy Schwaiger: Ich kann nur empfehlen, ein möglichst inklusives Umfeld zu schaffen, also alle dazu zu ermutigen, an den Einheiten einer Laufgruppe teilzunehmen.
Tanja Witt: Eine Laufgruppe, die sich aus Spaß am Laufen trifft und nicht (nur) die nächsten Bestzeiten im Hinterkopf hat, wäre ideal. Eine Gruppe, die trotz unterschiedlicher Niveaus auch mal einen gemeinsamen Longrun macht.
Annette Vogt: Weniger Fokus auf Rankings und mehr auf Spaß und Teambuilding. Gamification-Elemente können helfen, den Druck zu reduzieren.
Ich war zu langsam für die Schnellen und zu schnell für die Langsamen. Für mich gab es keinen richtigen Platz. Die Einteilung hat das Team für mein Empfinden gespalten. Tanja Witt
Fazit: Ist Gatekeeping in Laufgruppen ein reales Problem?
Es liegt ganz klar auf der Hand – die Gespräche zeigen deutlich, dass Gatekeeping und Elitismus in Laufgruppen ein reales Problem darstellen, aber auch, dass es Ansätze für inklusivere und gemeinschaftsorientierte Laufkulturen gibt.
Ja, die Fixierung auf Leistung, Schnelligkeit und Vergleich ist da – und sie kann verletzend und ausschließend sein. Doch gleichzeitig gibt es Menschen wie Chris, Annette, Romy und Tanja, die sich aktiv darum bemühen, andere Perspektiven zu schaffen. Sie setzen auf Gemeinschaft, auf Freude am Laufen, und auf die kleinen Erfolge, die für jede:n Läufer:in einzigartig sind. Ihre Ansätze und Ideen lassen hoffen, dass Laufgruppen wieder zu Orten werden können, an denen alle willkommen sind – unabhängig von Pace oder Wettkampferfahrung.
Letztlich geht es doch immer um die Frage: Warum laufen wir?
Ich meine, die Antwort ist individuell, aber sie sollte immer Platz lassen für Respekt, Gemeinschaft und Inklusion.
Vielleicht ist die wichtigste Erkenntnis aus diesen Gesprächen, dass wir die Laufkultur selbst gestalten können. Es liegt an uns – als Läufer:innen, Gründer:innen und Teilnehmenden – sie zu einer Kultur zu machen, die nicht trennt, sondern verbindet. Denn am Ende sollte Laufen für alle da sein.
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